► AUDIO: Sammeln von oben – statt sagen, was ist - Ein Kommentar von Susan Bonath

Sahra Wagenknecht ist wieder ganz oben in den Schlagzeilen. Als am Samstag ihre Webseite »#aufstehen« online ging, berichteten sogar die Tagesthemen recht wohlwollend über die Ikone der Linkspartei und die Vorbereitungen für ihre »Sammlungsbewegung«. Kein Kanal, keine Zeitung verunglimpften die am Samstag rund 12.000 Abonnenten der dazugehörigen Facebookseite pauschal als »Verschwörungstheoretiker« oder »Spinner«. Man erinnere sich dem entgegen an Occupy und die Montagsmahnwachen. Beide Male folgten einem großen Schweigen verbale Gülle-Kübel, die fast die gesamte Presse über jeden auskippte, der nur irgendwie damit zu tun hatte. Das macht stutzig. Zumal es irgendwie beliebig scheint, wofür oder wogegen »aufgestanden« werden soll. Oder berichtet der Mainstream gerade deshalb verhältnismäßig sachlich?


Gegenüber den Tagesthemen brachte es die Kabarettistin Jane Zahn auf den Punkt. Die Idee einer Sammlungsbewegung sei nicht neu und »grundsätzlich richtig«, konstatierte sie zunächst. »Sie funktioniert aber nicht, wenn sie von einer Frau Wagenknecht und anderen von oben angeboten wird«, glaubt Zahn. Deutlich machte Wagenknecht jenes »von oben anbieten« gegenüber der Sendung selbst in ihrem Statement: »Die Leute würden sich nicht mehr von der Politik abwenden, wenn sie wieder das Gefühl hätten, da ist eine Regierung, die sich wirklich für sie einsetzt, sie ernst nimmt«, erklärte sie.

Wagenknecht will also nicht, dass sich die Menschen vom System abwenden. Sie will selbst ans Ruder. Sie will regieren, vielleicht ein wenig sozialer für die angestammte Bevölkerung entscheiden. Ein bisschen mehr Sozialdemokratie, den Mindestlohn ein wenig erhöhen, etwas mehr Grundsicherung mit weniger Repressionen, eine Untergrenze für die Rente, und so weiter. Sahra Wagenknecht will eine neue deutsche Regierung inmitten unseres global immer brutaler wütenden Kapitalismus. Sie will ihn managen, genauso wie es alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien wollen.

Wagenknecht will, wie sie wörtlich den Nachdenkseiten offerierte, »all diejenigen zusammenführen, die sich eine Erneuerung des Sozialstaats, ein Zurück zur Entspannungspolitik Willy Brandts und ein verantwortungsvolles, naturverträgliches Wirtschaften wünschen«. Im Ernst?

Unter Brandt verhängte die damalige Bundesregierung massenhaft Berufsverbote gegen Kommunisten und andere Linke. Noch unter Brandt bewegte sich die Arbeitslosigkeit in der alten BRD rasant auf die Eine-Million-Marke zu und begann die Debatte, ob Arbeitslose erwerbslos sind, weil sie keinen Bock auf Arbeit haben – eine gute Vorbereitung für Brandts Nachfolger Helmut Schmidt, um erste Sozialkürzungen nach den »Wirtschaftswunderjahren« einzuleiten. Auch unter Brandt florierte die Polizeigewalt, die schleichende Aufrüstung und – wenngleich nach außen hin ein wenig milder – der »Kalte Krieg«.

Auf der Webseite sucht man vergeblich ein Programm. Stattdessen gibt es Statements für mehr Sozialstaat, weniger Aufrüstung, höhere Renten, gegen Kinderarmut, mehr Umweltpolitik, höhere Löhne. Ein Papier mit Zielen gebe es erst am 4. September, sagt Wagenknecht. Insgesamt gehe es »um den Mut zur Überwindung des neoliberalen Mainstreams, um eine soziale Politik im Interesse der Mehrheit und um ein Ende der Kriegspolitik und des gefährlichen Wettrüstens«. Es sei dieser Neoliberalismus, der die Bedürfnisse der weniger Wohlhabenden mit Füßen trete. Die konzerngesteuerte Globalisierung sei »keine Naturgewalt«.

Was Wagenknecht verschweigt: Die ökonomische Globalisierung ist schlicht der Kapitalakkumulation in wenigen Händen als einzigem irrationalem Selbstzweck dieses Wirtschaftssystems geschuldet. Steter Wettbewerb und Wachstumszwang verlangen immer schnelleren, effizienteren und billigeren Abbau von Rohstoffen. Die liegen nun einmal nicht vor der Tür. Zugleich erfordert die sich rasant entwickelnde Technologie immer weniger Arbeitskräfte. Doch diesen, und nur diesen entspringt die Profitrate. Denn der Wert der Waren wird nach in ihnen enthaltener Arbeitskraft bemessen. Nur von der menschlichen Arbeit kann abgeschöpft werden. Das weiß man nicht erst seit gestern. Schon Karl Marx schrieb ein ganzes Kapitel über den tendenziellen Fall der Profitrate, die eine immer brutalere Ausbeutung der Arbeitenden nötig macht. Ein kurzes Zurück – das zeigt die Geschichte – gelang bisher nur durch Zerstörung und Wiederaufbau.

Wer den Menschen sagt, man könne in diesem aktuellen Stadium der Überakkumulation des Kapitals einfach wieder zurückkehren in die 1950er und 60er Jahre der sozialen Zugeständnisse in Zeiten des Wiederaufbaus nach der Weltkriegszerstörung, sollte dazu sagen, dass man auch die 30er und 40er Jahre wiederholen müsste, um die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen.

Wer Menschen erzählt, ein seit Jahrhunderten von den mächtigsten und reicher werdenden Konzerneignern und Finanziers abhängiger, also ein kapitalistischer Staat wäre dazu da, denen zu helfen, die seit ebenso langer Zeit in diesem für die Profite ihrer Chefs malochen, um zu überleben, sagt schlicht nicht die Wahrheit.

Wer Leuten zudem suggeriert, am sozialen Fiasko wären irgendwie Flüchtlinge aus Ländern schuld, ohne deren brachiale Ausplünderung kein einziges deutsches »Wirtschaftswunder« möglich gewesen wäre, lügt. Der fantasiert nichts anderes herbei, als zum Beispiel auch die AfD und ihr außerparlamentarischer Arm namens Pegida. Und je bewusster jemand diese Lüge beschwört, desto verwerflicher ist es.

Am Wochenende schrieb mein Kollege Nico Popp treffend dazu in der jungen Welt: »Linke Kritik« – und eine solche wollen Wagenknecht und ihre Mitstreiter angeblich üben – »beginnt dort, wo ausgesprochen wird, dass die Zustände so sind, weil der Staat funktioniert, wie er in einer Klassengesellschaft funktionieren muss.« Erst dann sei Mitmachen (im staatlichen Politikapparat) keine Option mehr.

Doch Wagenknecht und ihr Mann Oskar Lafontaine, der schon 1990 die aus dem damals im totalen politischen Zerfall befindlichen Staat Rumänien gejagten und nach Deutschland geflüchteten Sinti und Roma rauswerfen wollte, wollen genauso mitmachen in diesem zerstörerischen System, wie alle Parteien, die derzeit im Bundestag vertreten sind – ohne Ausnahme.

Occupy und die Montagsmahnwachen wollten hingegen, zumindest in der Tendenz – die einen weniger, die anderen mehr – , nicht mehr mitmachen. Sie schmierten den Leuten nicht nur keinen Honig ums Maul. Sie waren zwar zum Teil politisch wirr und anfällig für das Mitmischen diverser ideologischer Wertpapierverkäufer, doch in ihrer Gesamtheit unkontrollierbar.

Die Ambitionen eines politisch bereits aufgestiegenen und eingefriedeten Millionärsehepaares sind dagegen ebenso überschaubar, wie jene der mittelständischen Millionärsclubs, aus denen heraus einst die AfD gegründet wurde oder jene einer PR-Agentur mit besten Kontakten zu Springer und Co. als Pegida-Mutter. Kontrolliertes Sammeln schützt am Ende Systemprofiteure und -erhalter vor wirklichem Widerstand.

Damit kommen wir vielleicht der Antwort auf die Frage näher, warum die einen pauschal als »Spinner«, »Verrückte« und »Verschwörungstheoretiker« verschrien wurden, als man einer Berichterstattung nicht mehr aus dem Wege gehen konnte. Und warum andere sofort relativ wohlwollend in die Schlagzeilen geraten. Die geballte Häme hält das Bürgertum noch immer für die wirklichen Systemkritiker vor.

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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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